Hier findest du die Vorschau zum Beitrag aus „hallo deutschland“ – inklusive Keyfacts aus dem Einsatz, Antworten auf häufige Fragen und Transkript. Mit einem Klick öffnest du den Originalbeitrag auf zdf.de in einem neuen Tab.
Wie wird Sicherheit sichergestellt?
Redundante Sicherung, L3‑Aufsicht, tägliche Checks, Wetterfenster, Abbruchregeln, Arbeits- & Rettungspläne.
Warum dauern Handgriffe länger als am Boden?
Frei hängende Position, kontrollierte Bewegungen, Wind/Pendelkräfte – Präzision vor Tempo.
Wie wird man Industriekletterer?
FISAT Level 1–3, G41 gültig, Erste Hilfe ≤ 24 Monate, Praxistage/Logbuch (Weitere Details findest du im Guide).
Einsatz für Tony Strehmann. Der 39-Jährige hat einen der gefährlichsten und seltensten Berufe überhaupt.
Er muss heute dieses Windrad besteigen und in 150 Metern Höhe Reparaturen ausführen. Kein normaler Einsatz, denn er muss dabei an den Rotorblättern arbeiten – ein gefährlicher Job.
Diese Aufgabe ist tatsächlich sehr herausfordernd, weil sie nicht so oft vorkommt. Da braucht ein Kletterer schon viel Erfahrung.
Wenn man direkt an der Blattspitze arbeitet, zählt wirklich jeder Zentimeter. Manchmal ist man zu tief, manchmal zu hoch mit der eigenen Position.
Tony Strehmann ist Industriekletterer, Spezialgebiet: Reparaturen an Windrädern. Das bedeutet jeden Tag extremes Risiko. Der Berliner hat eine Spezialausbildung und ist täglich in unterschiedlichen Windparks in ganz Deutschland unterwegs.
Er arbeitet ständig am Limit. Das Gefahrenpotenzial ist ziemlich hoch. Wenn wir uns nicht an alle Regeln halten, kann eine Menge passieren.
Der Impact ist ziemlich hart. Den können wir uns alle vorstellen – es wäre der Tod. Und das darf absolut nicht passieren.
Equipment-Check unten am Boden vor dem Aufstieg. Dabei wird auch immer der aktuelle Gesundheitszustand abgefragt – physisch und mental. Nur wenn die Verfassung absolut perfekt ist, dürfen sie da oben arbeiten. Sonst muss der Einsatz sofort abgebrochen werden.
Im Inneren des Windrads fährt Tony Strehmann mit seinem Kollegen in einem frei hängenden Fahrkorb nach oben.
Drei Minuten später, in 150 Metern Höhe, steigen die beiden Männer aus der Dachluke. „So, wir sind oben angekommen, alles an Material ist hochgekrant und jetzt gilt es, die ganzen Seile aufzubauen. Und dann wollte ich euch mal zeigen: Es geht so tief runter.“
Schaut euch das mal an: Tony Strehmann muss sich bei jedem einzelnen Schritt, den er hier oben macht, neu absichern. Heute ist es extrem windig, er kann sich nur Zentimeter für Zentimeter vorarbeiten.
Jeder falsche Schritt, jeder Fehler, jede noch so kleine Unachtsamkeit könnte zum Absturz führen. „Es gibt Familienangehörige, die machen sich verdammt Sorgen. Und deswegen ist Sicherheit so unfassbar wichtig – weil wir wollen alle jeden Tag heil nach Hause kommen.“
Jetzt muss sich Tony Strehmann von oben zu dem defekten Rotorblatt abseilen – langsam, kontrolliert, hochkonzentriert. Dafür braucht er enorm viel Kraft und Koordination.
„Elektrisch Fett, das ist ja nicht so einfach. Jeder Schritt schön langsam runter. Jetzt gucken wir’s uns mal an. Da sind wir. Schöner Un…“
Der Industriekletterer darf nur langsame und überlegte Bewegungen machen. Hektik wäre fatal.
Dazu kommt die größte Herausforderung: das Wetter. Momentan starke Windböen, keine optimalen Bedingungen. Sie hängen jetzt frei am Seil, aktuelle Höhe: ca. 100 Meter.
„Wenn wir uns von oben abseilen, kann es passieren, dass der Wind uns angreift. Der kommt hinterm Turm vorbei, greift uns direkt am Körper und bringt uns ins Pendeln. Wenn man das nicht kontrolliert oder nicht weiß, kann man zurück in den Windschatten geschleudert werden – und dann in den Turm krachen.“
Das ist der schwierigste Teil: Tony Strehmann muss auf dem 67 Meter langen Rotorblatt eine Stelle finden, wo er bohren kann.
Er arbeitet sich Zentimeter für Zentimeter nach unten – Präzisionsarbeit in der Luft. An der Stelle, wo der Hohlraum ist, muss er später ein Loch bohren.
Tony Strehmann ist Quereinsteiger und schon seit der Jugend passionierter Kletterer. Vor 13 Jahren kündigte er seinen alten Beruf als Arbeiter und begann die Ausbildung zum Industriekletterer.
Nach mehreren Monaten durfte er zum ersten Mal auf ein Windrad. „Der erste Einsatz war ziemlich heftig. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Aber ab einem gewissen Punkt – und ich wusste es auch schon vorher – habe ich gemerkt: Das will ich einfach. Weil es dieses Freiheitsgefühl vermittelt, das ich so noch nie gespürt habe.“
Ein Freiheitsgefühl, das für andere unvorstellbar ist – freihängend an einem Windrad.
Für die Kletterer ist es nicht möglich, zu viel Gewicht mitzunehmen. Deshalb bekommen sie die Maschinen für die Reparaturen per Seilwinde von unten nachgeliefert. „Ich weiß nicht, ob man’s sehen kann. Da kommt jetzt noch mal ein Sack mit Material nach oben.“
Sollte der Wind stärker werden oder drehen, müssten die Industriekletterer den Einsatz sofort abbrechen.
Erst nach fast zwei Stunden im Seil kann Tony Strehmann mit der eigentlichen handwerklichen Arbeit beginnen.
Weil er dabei in der Luft hängt, ist allein das Bohren eine Herausforderung. Er kann sich nirgends abstützen und es wackelt.
Er muss extrem präzise vorgehen. Solche Arbeiten dauern hier länger als am Boden. Er bohrt ein Loch in die Außenwand und füllt eine flüssige Masse ein.
Dann ist die Reparatur abgeschlossen. Strehmann und sein Kollege seilen sich Meter für Meter ab und haben nach gut acht Stunden wieder festen Boden unter den Füßen.
„Der Wind hat heute noch mal zugenommen, aber es lief alles im Rahmen. Für die Sicherheit war es optimal. Morgen geht’s direkt hier weiter. Wir greifen das nächste Blatt an – und da muss es genauso sicher sein. Hoffentlich wieder mit so einem schönen Ausblick.“
Dieser Einsatz ist für Tony Strehmann erfolgreich abgeschlossen. Am nächsten Tag werden die Industriekletterer wieder rund acht Stunden auf einem Windrad verbringen – an einem der wohl ungewöhnlichsten Arbeitsplätze Deutschlands.